Methodische und methodologische Grundfragen der Geistes- und Kulturwissenschaften am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse
24.-26. September 2009
Tagungsort:
Exzellenznetzwerk 'Aufklärung – Religion – Wissen'
Franckeplatz 1, Haus 54
06110 Halle (Saale)
Organisation:
Gideon Stiening (München), Rainer Godel (Halle)
Kontakt:
rainer.godel@netzwerk-arw.uni-halle.de
gideon.stiening@germanistik.uni-muenchen.de
Oft bleiben im 'interdisziplinären' Gespräch theoretische oder methodologische Vorentscheidungen ungesagt bzw. gar unreflektiert. Nicht selten entsteht der Eindruck, dass verschiedene Fachzugänge zu denselben Texten aneinander vorbeireden, sich nicht verstehen wollen oder gar können, weil sie von impliziten Voraussetzungen ausgehen, die selten thematisiert und noch weniger diskutiert werden, oder weil sie schlicht die Resultate und Zugänge der Nachbardisziplinen kaum berücksichtigen. Der transdisziplinäre Anspruch der 'Kulturwissenschaften' hat an dieser Situation nichts ändern können.
Ein solches grundlegendes methodologisches Gespräch auf neuer Grundlage zu initiieren ist das Ziel dieser Tagung. Dabei bietet sich eine solche Debatte am Gegenstand der Kontroverse zwischen Georg Forster und Immanuel Kant deshalb in besonderer Weise an, weil nicht nur die historische Auseinandersetzung selbst von methodischen und erkenntnistheoretischen Vorentscheidungen bzw. Vorurteilen geprägt war und von beiden Parteien bedient wurde; auch die historiographische Aufarbeitung dieser Kontroverse scheint nicht ohne deutliche Parteinahme für eine der Seiten auszukommen. Dabei geht es im 18. wie im 20./21. Jahrhundert um Fragen nach den methodischen und systematischen Voraussetzungen empirischer Wissenschaft, die je unterschiedlich und nicht ohne polemischen Rekurs auf die Gegenseite beantwortet werden. Augenfällig wird die Schärfe der offenbar nach wie vor aktuellen Kontroverse in der Auseinandersetzung zwischen Manfred Riedel einerseits und Wolfgang Pross sowie Tanja van Hoorn andererseits. Ergebnisse der aktuellen Kontroverse-Forschungen in der Germanistik können und sollen hier zu tragen kommen. Es stellt sich nach neueren Forschungen die Frage, ob die Kontroversen selbst erkenntniskonstitutiv sind.
Eine der Zielperspektiven der geplanten Tagung besteht vor diesem Hintergrund darin, die in jener Kontroverse und ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung offenbar unhintergehbare 'Parteilichkeit' über methodische und methodologische Reflexionen aufzulösen – wenigstens aber zu erklären. Dabei wird sich erneut die Frage nach einer einlösbaren methodischen und systematischen Konzeption von Interdisziplinarität stellen, um eine disziplin-gesteuerte Parteinahme für Kant (Philosophie / Wissenschaftsgeschichte) bzw. für Forster (Germanistik / Historik) zu hintergehen. Eine Berücksichtigung der durch die amerikanischen cultural studies und deren Reflexion auf die race-Debatten des 18. und 19. Jahrhunderts neu eröffnete Perspektive auf die Gegenstände soll den Druck auf eine elaborierte Methodologisierung der Diskussion erhöhen.
Anhand eines überschaubaren Textbestandes, der Auseinandersetzung von Immanuel Kant und Georg Forster vorwiegend in den Jahren 1785 und 1788, sollen verschiedene Fächerzugänge zur Sprache kommen. Dabei wird gefragt:
Zur Teilnahme an der Tagung eingeladen sind Forscherinnen und Forscher aller einschlägigen Disziplinen (Germanistik, Philosophiegeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft), die die Bereitschaft mitbringen, diese und andere methodologische Fragen auf theoretisch reflektierter Ebene, aber stets auch mit Blick auf das zentrale Textcorpus zu beantworten. Daher sollen kontextuelle Erweiterungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Debatte stehen, und dieser Konnex müßte präzise nachgewiesen werden.
Tagungsprogramm
Donnerstag, 24.09.2009 | |
15.00 Uhr | Begrüßung: Udo Sträter (Halle), Vorsitzender des Exzellenznetzwerks 'Aufklärung – Religion – Wissen' |
15.15 Uhr | Einführung: Gideon Stiening / Rainer Godel |
15.30 Uhr | Gideon Stiening (München): Zum Verhältnis von Systematizität und historischer Semantik in den Geschichtswissenschaften am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse |
17.00 Uhr | Sigrid Oehler-Klein (Gießen): Weltreisebericht, Anthropologie und Naturgeschichte um 1800: Das Problem der wissenschaftlichen Einordnung des Fremden in das europäische Weltbild |
18.00 Uhr | Maja Soboleva (Marburg): Das Verhältnis von Begriff und Faktum am Beispiel von Kants Rassentheorie |
Freitag, 25.09.2009 | |
9.00 Uhr | Werner Euler (Marburg): Einheit der Abstammung oder Gattungseinteilung? Kants Begriff der (Menschen-)Rasse als Idee einer Naturgeschichte |
10.00 Uhr | Tanja van Hoorn (Hannover): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Naturgeschichte? Forster versus Kant |
11.15 Uhr | Robert Bernasconi (University of Memphis, TN / Pennsylvania State University): What did they know and how did they learn of it? On Kant and Georg Forster's Uses of Evidence in Their Debate about the Human Races |
14.30 Uhr | Kristina Kuhn (Konstanz): "Ich danke für den bloß empirischen Reisenden und seine Erzählung" – Kant und die Reisebeschreibung |
15.30 Uhr | Dirk Werle (Leipzig): Problemgeschichte und Konstellationsforschung: Zu Stärken und Schwächen einer Verbindung der Forschungskonzeptionen am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse |
17.00 Uhr | Rainer Godel (Halle): Mediale Strategien. Zu Möglichkeiten und Grenzen der Forschung zur "medialen Revolution" des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Forster-Kant-Kontroverse |
Samstag, 26.09.2009 | |
9.00 Uhr | Ibrahima Diop (Dakar): Die Kant-Forster-Kontroverse über Menschenrassen als bedeutendste Zäsur der europäischen Afrikadiskurse der Aufklärung |
10.00 Uhr | Klaus-Gert Lutterbeck (Greifswald): Transzendentale Betrachtung als Bedingung wertegeleiteter Erkenntnis in den Geistes- und Kulturwissenschaften: Die Kategorie des Zwecks |
11.15 Uhr | Falk Wunderlich (Berlin): Zum Verhältnis von Philosophie- und Ideengeschichte am Beispiel der Kontroverse zwischen Kant und Forster |
12.15 Uhr | John Zammito (Rice University Houston, TX): History of Philosophy vs. History of Science: Blindness and Insight of Vantage Points on the Kant-Forster Controversy |
13.15 Uhr | Schlussdiskussion |
Gefördert durch: |