"Wonne der Wehmut" und "joy of grief".
Die süße Lust an Trauer in der englischen und deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts

Katja Battenfeld

Durch die europäische Kulturgeschichte zieht sich ein Element ästhetischer und religiöser Lust am Leiden, deren Ursprünge Heinrich Heine als christliche Denk- und Gefühlsstrukturen benennt. Vor allem im 18. Jahrhundert nimmt es Einfluss auf praktische und ästhetische Ausrichtungen des Christentums. Diese Arbeit befasst sich in einem komparatistischen Ansatz mit literarischen Beispielen jener Lust an Trauer des 18. Jahrhunderts. Eingebettet in den Komplex der Melancholie-Debatte stellt die milde Facette des Lustgewinns an fiktiver Trauer eine gemischte Empfindung der empfindsamen Ethik und Ästhetik dar. Frömmigkeitsbilder von gemäßigter Trauer werden in der Literatur anempfohlen und diskutiert. Die ästhetische Trauer ist ein teilweise grotesk anmutendes Phänomen des erwachenden Erlebniswillens des Einzelnen. Sie steht zentral in der gegenseitigen Bereicherung religiöser und säkularer Literatur als geschlechter- und standesübergreifendes Moment.

Die Arbeit leistet einen Beitrag zur Analyse der Gefühlskultur, Ästhetik und Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Sie wendet sich einer gefühlszentrierten Handlungsstrategie zu, die an der Schnittstelle von religiöser und säkularer Literatur gesellschaftliche Anerkennung begründen konnte. Am Beispiel von repräsentativen deutsch- und englischsprachigen Werken (z. B. E. Youngs 'Nachtgedanken' und J. Macphersons Kunstepos 'Ossian') soll die Entwicklung der Lust an Trauer erforscht werden. Der für die Analyse angelegte Zeitrahmen erstreckt sich von circa 1740 bis 1790. Weitere Autoren, die herangezogen werden, sind bspw. Klopstock, Hölty, Herder und Moritz. In ihren Werken tritt das selbstreferentielle Fühlen des Individuums in den Vordergrund. Eine Kultivierung des schönen Trauerns ist darin begründet, die kodierte Emotion als wichtige Größe in Religionspraxis, Identitätsstiftung, Seelenkunde und Kunst/Produktion dokumentiert.