Natur – Geist – Subjekt. Der 'Sprung' in der Philosophie zwischen 1670 und 1850 |
Gegenstand meines Forschungsprojektes ist der 'Sprung'. Diesem 'Gegenstand' wird in zweierlei Hinsicht nachgegangen: zum einen im Hinblick auf den Zustand des 'Wirklichen', dem sich Anschauung und Denken gegenüber gestellt sehen, wobei dieser Zustand in einem Ausstand des 'wirklich Wirkenden' hinter den bloßen Wirkungen besteht; zum anderen in Bezug auf eine Bewegung, die sowohl vom 'Wirklichen' in seinem Wirken als auch vom Denken sowie einzelnen Individuen unternommen werden kann, um jenen Zustand bzw. Ausstand zu überwinden. – Diese beiden Bedeutungsebenen des 'Sprungs' können unter die Begriffe 'hiatus' (Kluft) und 'saltus' (Springen) gefasst werden. Ebendiese Begriffe verweisen wiederum auf drei unterschiedliche Bereiche des 'Sprungs', nämlich auf die Natur in ihren Zuständen, Bewegungen und Entwicklungen, auf den Geist in seinem Denken und auf das menschliche Subjekt bzw. Individuum in seiner Existenz.
Bevor aber eine genaue begriffliche Einordnung vorgenommen wird, nähern sich die geplanten Ausführungen in einem ersten Kapitel entlang semantischer und etymologischer Überlegungen dem Begriff, nein vielmehr der Metapher des 'Sprungs'. Deren Gehalt an unterschiedlichen Sprung-Begriffen gilt es einzugrenzen, in Anbetracht der zahlreichen durch diese Metapher bedeuteten Phänomene.
Ein zweites Kapitel analysiert die Behandlung des Phänomens wie die Verwendung der Metapher in der abendländischen Philosophiegeschichte, mit Fokus auf die Philosophie der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, welche sich erstmals der Metaphorik des 'Sprungs' zu bedienen beginnt; sowie mit Blick auf die nachfolgende Philosophie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da für diese konkrete Ansätze eines 'Sprungs' mehr noch als zuvor zu einer zentralen Konzeption werden. Die Behandlung einzelner Denker bzw. ihrer Werke geschieht jedoch nicht allein, um eine jeweilige und auch fortwährende historische Modifikation der Metapher aufzuzeigen, sondern um sie auf dem Felde unterschiedlicher philosophischer Ansätze und Disziplinen zu beleuchten. So wird entsprechend der drei genannten Sprungbereiche zunächst im Bereich der Naturphilosophie bzw. Metaphysik, dann der Logik und schließlich der Existenzphilosophie nach spezifischen Sprungkonzeptionen gefragt. Zu differenzieren ist dabei, inwiefern die Theorien einzelner Disziplinen oder Schulen der Philosophie 'Sprünge' im Bereich der Naturvorgänge, des Denkens oder Tuns eher vermeiden bzw. verneinen oder aber integrieren bzw. sogar radikal fordern.
Exemplarisch sollen diese Fragen beantwortet werden, und zwar durch eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Werk von Leibniz, Hegel und Kierkegaard. Bei Leibniz interessieren seine frühen naturphilosophischen, insbesondere kinematischen Schriften, da diese den Beweis liefern für dessen durchaus ambivalentes Konzept 'sprunghafter' Naturbewegungen und -entwicklungen, das nach einem anfänglichen Einräumen 'transkreationeller' Sprünge schließlich zum Primat des 'Kontinuitätsgesetzes' tendiert. Ein weiterer Gegenstand der Untersuchungen ist Hegels "Logik", da diese über klassische 'logische Schlüsse' hinaus mithilfe dialektischer, also nicht allein quantitativer, sondern qualitativer 'Denksprünge' ein wirklich progressives Denken manifestiert. Zuletzt sind es die Ansätze von existenziellen 'Sprüngen' im Werk Kierkegaards, welche hier als ein deutlicher Kontrapunkt zu anderen Sprungkonzeptionen Thematisierung finden, da Kierkegaard sich weder an das traditionelle 'Sprungverbot' im Bereiche der Logik hält, noch das Ziel hat, wie Hegel eine eigene 'Logik des Sprungs' zu entwickeln. Seine Philosophie sinnt vielmehr auf einen 'Sprung', der als konkreter Willensakt durch ein sich vom geschlossenen System des Denkens oder der Natur lossagendes Individuum vollzogen wird.
Ein drittes Kapitel versucht schließlich die strukturellen Momente konkreter, historischer Sprungentwürfe zu einer allgemeinen philosophischen Konzeption des 'Sprungs' zusammenzufassen, und dies vor dem Hintergrund eines offensichtlichen und durchgängigen Dualismus-Problems der abendländischen Philosophie und der genannten philosophischen Disziplinen. Dieses Problem ist das eines Dualismus, oder gleich mehrerer: zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Materie, Denken und Erkennen, Verstand und Glauben, Wahrheit und Wahrnehmung – ein Problem, welches der Philosophie zu vielerlei 'Sprüngen' Anlass gegeben hat. – Kann daher über die spezifische Symptomatik einzelner Sprünge hinaus auf eine grundsätzliche Sprung-Problematik geschlossen werden, die Ausdruck eines solchen Dualismus-Problems ist? Verweist quasi jeder strategische Versuch eines befreienden oder verbindenden Sprungs (saltus) zwangsläufig zurück auf die bestehende und bleibende Aporie eines Sprungs (hiatus) und gleichsam eines Dualismus? Lässt sich mehr noch von einer bestimmten, der Sprungproblematik immanenten Logik sprechen, oder weisen einzelne Sprungkonzepte unterschiedliche Logiken auf? Und welche Momente des Alogischen spielen hier womöglich eine Rolle?