Religiös auffällige Handwerker in der frühen Neuzeit. Virtuosen im Sinne Max Webers?

Daniel Eißner

Der religiös aktive Handwerker der frühen Neuzeit ist bislang nicht Gegenstand religionswissenschaftlicher Betrachtung gewesen – und das, obwohl mit Max Weber und Ernst Troeltsch die maßgeblichen Vertreter der klassischen deutschen Religionssoziologie dem Handwerker eine besondere Rolle im nachreformatorischen Christentum zugewiesen haben. Für ersteren waren die Handwerker gar Träger einer spezifischen Religiosität, "religiöse Virtuosen", deren Ursprung nicht zuletzt in der größere Rationalität erfordernden Erwerbsweise lokalisiert wurde. Bestimmte Gewerke (v.a. die im Sitzen ausgeführten) galten als besonders "anfällig" für religiöse Aktivität; als Beispiele werden vor allem Textilhandwerker wie Weber und Wollfärber sowie Vertreter lederverarbeitender Berufe wie Schuster und Sattler angeführt.

In der Tat begegnen uns zahlreiche Handwerker an prominenter Stelle: In der Reformation leisten sie einen nicht unerheblichen Beitrag zur Durchsetzung lutherischer Lehrsätze, sei es als Teil der protestantischen "Singe-Bewegung" in den norddeutschen Städten, als Verfasser von Flugschriften oder als regelrechte "Propheten" mit großem Einfluss während des Bauernkrieges. Im Zeitalter des Pietismus sind Handwerker die prominentesten Vertreter der Laienreligiosität gewesen: Zahlreiche Handwerker zogen als bußpredigende "Handwerker-Propheten" durch die Territorien des Alten Reiches. Männer wie Johann Friedrich Rock, Johann Maximilian Daut und Johann Tennhardt entfalteten eine intensive Reisetätigkeit, bei welcher sie ihre Ideen mittels gehaltener "Winkel-Predigten" und der Weitergabe ihrer gedruckten Offenbarungen verbreiteten und so eine hohe Prominenz und Wirksamkeit erreichten.

Untersuchungen zur spezifischen Religiosität der frühneuzeitlichen Handwerker im Allgemeinen und religiös auffälliger Handwerker im Besonderen fehlen bisher. Das Dissertationsprojekt will sich dieses Desiderats annehmen und widmet sich vor allem der Frage, inwieweit sich diese besonders aktiven Laien durch religiöse Virtuosität – wie sie v.a. Max Weber beschrieben hat – auszeichnen. Zur Beantwortung dieser erkenntnisleitenden Frage werden mittels Rekonstruktion zweier lokaler Konfliktgeschichten und pietistischer Netzwerke Religiosität und daraus resultierende Konflikte beteiligter Handwerker untersucht. Daran schließt sich der Versuch einer systematischen Klassifizierung der beschriebenen Vorgänge an. Schlussendlich soll eine kritische Würdigung der "Virtuositäts-These" Webers vorgenommen werden.