Schellings Naturphilosophie und die Theosophie |
Auf den ersten Blick scheint der Philosoph Joseph Wilhelm Friedrich Schelling (1775-1854) nicht zu der Geschichte der Esoterik zu gehören. Bei näherer Betrachtung, besonders im Hinblick auf Schellings Naturphilosophie, zeigt sein Werk jedoch eine frappierende Ähnlichkeit mit Gedankenmustern, die aus der Renaissance der Theosophie in der Nachfolge Jacob Böhmes (1575-1624) stammen. Die Untersuchung dieser Gedankenmuster im Werk Schellings, ihrer Rezeption, Rekontextualisierung und Transformation soll Gegenstand dieses Projektes sein.
Bislang wurden in der Forschung besonders die Beziehungen untersucht, die Schellings Naturphilosophie mit Kants 'Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft' (1786) und seiner 'Kritik der Urteilskraft' (1790), besonders hinsichtlich seiner Vorstellungen von Teleologie und Organismus, zeigt. Schelling selbst versteht seine Naturphilosophie als Gegenentwurf zu Konzeptionen der Natur, die vor allem in der Aufklärung entwickelt worden waren: Kant dient ihm zwar als Ausgangspunkt, den es aber produktiv weiterzuentwickeln gilt. Das systematische Modell Schellings von der 'wirklichen, der seyenden Natur' zeigt drei Grundannahmen bzw. Gedankenmuster, die sich auf die romantisch-theosophischen Autoren Franz von Baader (1765-1841) und Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860) oder den Theosophen und evangelischen Theologen Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) zurückführen lassen:
a. absolute Identität von Geist und Natur,
b. Mythos vom 'erlösten Erlöser',
c. Natur als Lebewesen (vgl. Faivre).
Der Einfluss theosophischer Autoren zeigt sich im Schelling-Œuvre in seinen im engeren Sinne naturphilosophischen Schriften 'Die Weltseele' (1797), 'Darstellung meines Systems der Philosophie' (1801) und den 'Aphorismen über die Naturphilosophie' (1806).
Der Einfluss der theosophischen Autoren bzw. Naturphilosophen ist in bestimmten 'Wissensfeldern' innerhalb der Philosophie Schellings greifbar: Hierzu zählt einerseits Schellings Beschäftigung mit 'veränderten Bewusstseinszuständen', wie dem magnetischen Schlaf, Hypnose, Somnambulismus, Trance, Hellsehen, Schlafrednerei oder der 'theosophischen Schau'. Andererseits erzählt seine Naturphilosophie den theosophischen Mythos des gefangenen Lichtes, das sich aus den Fesseln der Schwere befreien muss. Darüber hinaus zeigt das gesamte Werk Schellings eine lebenslange Auseinandersetzung mit so genannten Neuplatonischen Gedankenmustern, wie beispielsweise die 'Lehre von den Entsprechungen' oder der 'Gedanke von der großen Kette der Wesen'. In den späteren Werken wird seine Konzeption von Mythologie als universaler Religionsgeschichte bedeutsam, die sich als eine Transformation theosophischer Spekulationen hinsichtlich der Entwicklung Gottes in der Geschichte lesen lässt.
Das Ziel dieses Projektes ist die Beschreibung dieser Gedankenmuster und wie sie in den jeweiligen Argumentationsketten Schellings rekontextualisiert werden. Insofern soll die Hypothese erhärtet werden, dass esoterische Gedankenmuster im Übergang von der Aufklärung zur Romantik einem Prozess der Verwissenschaftlichung unterzogen wurden. Das Verhältnis von 'Theosophie' zu 'Naturphilosophie' soll im Hinblick auf 'Aufklärung' und 'Romantik' als ein Ergebnis dieses Projekts näher bestimmt werden.