Sozial- und Kulturgeschichte jüdischer Konvertiten zwischen 1640 und 1792 |
Im Rahmen der Dissertation sollen vorzugsweise jüdische Konvertiten aus dem Herzogtum Gotha untersucht werden. Den zeitlichen Rahmen der Untersuchungen bilden der Herrschaftsantritt Herzog Ernst des Frommen 1640 sowie das ausgehende 18. Jahrhundert.
Der Begriff der Konversion wird vom lateinischen "conversio" für Umkehr oder Umwandlung abgeleitet und meint im engeren Sinn den Wechsel der Mitgliedschaft von einer Religionsgemeinschaft zu einer anderen. Das Bild, welches wir uns heute von jüdischen Konvertiten der Vormoderne machen, speist sich hauptsächlich aus (Auto-)Biographien und Traktaten sogenannter gelehrter Konvertiten jüdischer Herkunft. Jüdische Konvertiten ohne gelehrten Hintergrund haben hingegen kaum eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen, sie gingen relativ unbemerkt in der christlichen Mehrheitsgesellschaft auf und traten nur dann in Erscheinung, wenn es um Fragen wie die der Vorbereitung auf die Taufe und des Scheidungs-, Eltern- oder Erbschaftsrechts zu Auseinandersetzungen und Verhandlungen kam.
Gelehrte Konvertiten hatten häufig den Wunsch, ihre Kenntnisse über die Herkunftsreligion auch nach dem Glaubenswechsel zu nutzen. Sie strebten Tätigkeiten als Hebräischlektoren, Übersetzer, Dolmetscher und Autoren, in seltenen Fällen ein Theologiestudium an. Da sie in der akademischen Öffentlichkeit unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck bezüglich ihrer Konversion standen, entsprechen ihre Autobiographien literarischen Konstruktionen im Rahmen christlicher Apologetik, deren soziale Kontextuierung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unberücksichtigt blieb. Der Glaubenswechsel wurde als Beweis für die Überlegenheit des Christentums dargestellt, häufig untermauert mit antijüdischen Inhalten. Die Veröffentlichungen der Konvertiten unterstrichen nicht nur den Triumph der christlichen Religion, sondern dienten auch der beruflichen Reputation. Als Motive ihrer Konversion nannten sie, ebenfalls ganz im Sinne einer Legitimationsschrift, die Unzufriedenheit mit und die Entfremdung von der eigenen Religion, insbesondere auf Grund von Zweifeln durch die Lektüre des Neuen Testaments.
Das Promotionsprojekt untersucht die Lebensbeschreibungen und Traktate jüdischer Konvertiten auf einer breiten, bisher unberücksichtigten Quellenbasis, um ihr intellektuelles Profil in einem kulturellen und sozialen Milieu zu verorten. Außerdem sollen auch Konvertiten ohne akademischen Hintergrund aus einer kultur- und sozialhistorischen Perspektive beleuchtet werden. Besondere Berücksichtigung soll das Verhalten der Vertreter des Pietismus und der lutherischen Orthodoxie gegenüber jüdischen Konvertiten finden. Gefragt wird nach den Auswirkungen dieser Strömungen auf das Agieren der Taufwilligen und Getauften, aber auch, welche Funktion die Taufen von Juden bei den jeweiligen pietistischen oder lutherisch-orthodoxen Vertretern einnahm.
Untersucht werden auch die Verbindungen zwischen dem Herzogtum Gotha und dem "Institutum Judaicum et Muhammedicum", welches 1728 in Halle gegründet wurde und bis 1792 bestand. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die aus dem Herzogtum Gotha stammenden Persönlichkeiten August Hermann Francke (1663-1727) und Johann Heinrich Callenberg (1694-1760), die in Halle die erste lutherische Judenmission vorbereiteten und schließlich initiierten, bereits im konvertitenfreundlichen Milieu Gothas aufwuchsen.