Rationalität und Irrationalität im Aufbau von Religion |
Die immer wieder diagnostizierte Unübersichtlichkeit der Moderne wird in hohem Maße auf die stetig fortschreitende Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme zurückgeführt. Doch lässt sich trotz der Pluralisierung und Segmentierung der Lebensformen eine ihnen gemeinsame Basis der Reflexionskultur namhaft machen – der Anspruch auf Rationalität. Gleichwohl wäre die Annahme verfehlt, dass alle Bereiche der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die dem Rationalitätsparadigma verpflichtet sind, in dessen Logizität aufgingen. Im Hinblick auf den Aufbau von Religion zielt das Forschungsvorhaben auf die Beantwortung der Frage, in welchem Verhältnis rationale und irrationale Elemente stehen. Um sich dem Ziel einer systematischen Durchdringung des in Frage stehenden Problems annähern zu können, bietet es sich an, mit einem Autor einzusetzen, der als Protagonist aufgeklärter Rationalität gilt – Immanuel Kant. Der Königsberger Philosoph hat die Konstitutionsbedingungen des religiösen Bewusstseins auf den unterschiedlichen Theorieebenen von theoretischer und praktischer Vernunft diskutiert, wodurch er die Vielschichtigkeit der Fragestellung prägnant herausarbeitet. Zugleich zeigt er jedoch auch die Grenzen dessen auf, was an geschichtlicher Religion einer rationalen Rekonstruktion zugänglich ist und was nicht. Mit diesem doppelten Vorgehen hat Kant Maßstäbe gesetzt, die bis in die Moderne hinein auf die Entschlüsselung des Aufbaus von Religion Einfluss ausüben. Dass beide Theoriedimensionen – die erkenntnistheoretischen und die praktisch philosophischen – auch unter den Bedingungen moderner kulturwissenschaftlicher Methodenstandards Gültigkeit besitzen, gilt es sodann am Werk Rudolf Ottos einerseits und Max Webers andererseits aufzuzeigen. Indem dieser Anmarschweg ausgehend von Kant zu diesen beiden Klassikern moderner Religionstheorie gewählt wird, so ergibt sich damit zugleich ein Beitrag für die Aufhellung der Wirkungsgeschichte der Aufklärung im 20. Jahrhundert.