Philosophy and Religion in Samuel Richardson's Novel 'Sir Charles Grandison': |
Zum Zeitpunkt seines Erscheinens in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Samuel Richardsons Roman 'The History of Sir Charles Grandison' hoch gelobt für seine meisterhafte Darstellung sowohl der zeitgenössischen Gesellschaft als auch der Natur des Menschen. Jedoch hat der anscheinend makellose Held nie die gleiche Bedeutung für den Kanon erringen können wie Pamela und Clarissa, die Titelheldinnen von Richardsons früheren Romanen. In letzter Zeit ist 'Grandison' wieder ins Zentrum kritischen Interesses gerückt. Insbesondere stellen die religiösen und philosophischen Dimensionen dieses monumentalen Werks ein breites Forschungsfeld dar. Diese Dissertation wird dazu beitragen, den Roman im intellektuellen Kontext seiner Entstehung zu verorten, um genau das in den Blick zu nehmen, was ursprünglich seinen Ruhm begründete: eine "moderne" literarische Darstellung bzw. Erörterung von Moral, die von der Religion legitimiert wird und die Gesellschaft untermauert.
Die immer noch sehr plausible These, 'Grandison' gehe aus der Gattung des "conduct book" hervor, bildet den Ausgangspunkt dieser Studie. Vieles, das eine solche These impliziert – sowohl hinsichtlich der Form als auch des Inhalts –, muß einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Die intellektuellen Strömungen, die sowohl die religiösen und säkularen Schriften über das Verhalten als auch die Theorien des Zusammenspiels von Moral und Gesellschaft durchziehen, haben auch Richardsons Roman geprägt, der damit geradezu als ein Schulbeispiel für Theorie und Praxis der Aufklärung gelten kann. Freilich ist diese Aufklärung typisch englisch; Richardson unterscheidet sich daher in vielen Punkten von seinen berühmten Zeitgenossen, den 'philosophe'-Romanschriftstellern in Frankreich.
Die programmatische Gegenüberstellung von Protestantismus und Katholizismus, das allgegenwärtige Paradigma der Ehe, die Entwicklung eines christlichen Helden – alle diese Themen zeigen, dass sich Richardson um eine Begründung von Moral und die Darstellung ihrer Funktion in der Gesellschaft bemüht. Die vereinfachende These, der Protagonist sei "priggish" bzw. ein auf Willensfreiheit setzender Gutmensch, reicht nicht aus, den Zusammenhang zwischen Moral und Gesellschaft bei Richardson zu erklären. Die subtilen Schattierungen dieses Verhältnisses sollen in dieser Arbeit sowohl für den literarischen Text selbst differenziert herausgearbeitet als auch in den intellektuellen und sozialen Kontext der Zeit eingeordnet werden. Die reiche Vielfalt der Belegstellen, die sich aus der Fülle der narrativen Details ergibt, stellt einen besonders fruchtbaren Boden für diese Analyse dar. Sie soll unser Verständnis der Diskurse erweitern, die über Verhalten, Moral und Religion innerhalb und außerhalb der Welt des Romans in der Mitte des 18. Jahrhunderts dominant waren.