Strategen der Macht. Tyrannen und Freiheitskämpfer in Friedrich Schillers und Vittorio Alfieris Theater der Spätaufklärung

Paolo Panizzo

Die Ästhetik, die als eigenständige philosophische Disziplin in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begründet wird, befasst sich mit dem gnoseologischen Wert der sinnlichen Wahrnehmung: Der ästhetischen Erfahrung wird die Fähigkeit zugesprochen, Wesentliches über die Welt zu vermitteln, d. h. den Menschen zu einem Wahrheitsgehalt zu verhelfen, der ihm sonst unzugänglich bleiben würde. Das Jahrhundert der Aufklärung fixiert neue interpretatorische Kategorien bzw. Deutungsmuster, die das Wissen von Welt und Mensch in neue Verstehenszusammenhänge stellt, und entwirft darüber hinaus neue Kulturutopien, die das neue Wissen in Theorie und Praxis vermitteln wollen.
Auf kultureller Ebene kommt in diesem Zusammenhang der Figur des Künstlers im Laufe des 18. Jahrhunderts eine immer größere Rolle zu. Als Vermittler eines ästhetisch wahrnehmbaren Wahrheitsgehalts muss der Künstler nicht nur die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung seines Schaffens stellen; angesichts der Wirkungsmacht seines Könnens und der immer breiter werdenden Öffentlichkeit der Kunstrezipienten muss er auch danach fragen, was es bedeutet, das ethische Gebäude der Kultur auf ästhetischen Fundamenten zu gründen.

Das Forschungsprojekt zu Leben und Werk Friedrich Schillers (1759-1805) und Vittorio Alfieris (1749-1803), zwei der prominentesten Dichter im Kontext der deutschen und italienischen Spätaufklärung, setzt sich zum Ziel, die philosophischen und anthropologischen Prämissen zu rekonstruieren, auf welchen ihre Werke basieren, sowie das revolutionäre Potential herauszuarbeiten, das diese Dichter gerade der ästhetischen Sphäre, insbesondere dem Drama zuerkannten – ein Potential, das (so die zu überprüfende Hypothese des Projektes) letztlich den belebenden Kern der jeweils entworfenen Kulturutopien ausmacht, in deren Zeichen Schiller und Alfieri auch das eigene Leben als Dichter verstanden.

Vor diesem Hintergrund verspricht die komparative Untersuchung einen Beitrag zur Erschließung jener im Kontext der jeweiligen Kultur vorgeschlagenen Deutungsmuster und Kulturutopien zu liefern, mit welchen diese Dichter auf die gewaltigen historischen und kulturellen Herausforderungen ihrer Zeit eine Antwort gaben – eine Antwort, die nicht zuletzt aus der Reflexion über die Rolle der Kunst (und damit auch über die ethische Rolle des Künstlers) in der modernen Epoche resultiert.