Religion und Aufklärung – Protestantische Indienmission im Spannungsfeld von pietistischer Rivalität und der Transformation des Rationalen

Thomas Ruhland

Dieses Forschungsprojekt setzt das vielschichtige Verhältnis von Religion und Aufklärung mit der im 18. Jahrhundert beginnenden protestantischen Mission in Beziehung und zielt dabei auf zwei Schwerpunkte ab. Zum einen sollen die Wechselwirkungen zwischen missionarischen Aktivitäten und der damit einhergehenden Erschließung neuer kultureller, religiöser und vor allem auch naturwissenschaftlicher Erkenntnisse aufgezeigt werden, welche in einem weiteren Schritt verbunden werden mit der Etablierung eines neuen Umganges mit religiösen Vorstellungen und Frömmigkeitsformen sowie den Anforderungen eines auf Vernunftgebrauch und Rationalitätsstandards rekurrierenden Denkens. Zum anderen ist es das Ziel, die Protagonisten der protestantischen Mission, die Dänisch-Englisch-Hallische Mission und die Herrnhuter Brüdergemeine, mit Hinblick auf diese Entwicklung vergleichend zu betrachten. Die konflikthafte interne Ausdifferenzierung der Frömmigkeitsbewegung des Pietismus verweist nicht nur auf differierende theologische Ansätze und damit verbunden auf unterschiedliche Formen von Gemeinschaftsbildung, sondern sie unterstreicht darüber hinaus die je spezifische Stellung zu den Ideen der Aufklärung, welche hier analysiert werden sollen.

Bei beiden Missionsunternehmungen fanden neue Formen des Rationalen in der Religion ihren Niederschlag, z. B. in sich verändernden Missionsmethoden. Die Frage der Verträglichkeit von Aufklärung und Religion wurde nicht nur diskutiert, sondern verschiedene institutionalisierte Praktiken wie z. B. das Missionsschulwesen und die organisierte Sammeltätigkeit von Naturalien verdeutlichen deren fruchtbare Verbindung. Die unterschiedlichen Quellen der Missionare, ihre Abhandlungen zum Schulwesen, über die Mission, die ethnographischen Beschreibungen der indischen Kulturen und Religionen sowie Ego-Dokumente, werden in diesem Zusammenhang als diskursive Kristallisationspunkte analysiert. Dadurch wird eine Neubewertung des Stellenwertes der Aufklärung für die Entwicklung der protestantischen Missionsbewegung ermöglicht. Richtungweisend ist dabei die Fragestellung, in welcher Weise die Unterschiedlichkeit der beiden pietistischen Missionen und ihre divergierende Übernahme der neuen Rationalitätskriterien die Wahrnehmungs- und Handlungsmustermuster der Akteure beeinflussten.

Als Ergebnisse dieses Forschungsprojekts ist einerseits eine Charakterisierung des Umgangs beider Missionen auf dem indischen Missionsfeld zu erwarten. Anderseits wird eine Konkretisierung der typologischen Unterscheidung von "Hallescher Theologen-Mission" und "Herrnhuter Handwerker-Mission" (Wellenreuther) als den 'Prototypen' der protestantischen Weltmission des 19. Jahrhunderts sowie eine Spezifizierung des Verhältnisses von Hallischem und Herrnhutischem Pietismus in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts angestrebt.