Die Professoren der Universität Halle von 1691 bis 1806 aus sozialgeschichtlicher Perspektive

Julia Hasselberg

Das Dissertationsvorhaben beschäftigt sich mit den etwa 200 ordentlichen und außerordentlichen Universitätsprofessoren, die im Zeitraum zwischen der Gründung der Universität und der kurzzeitigen Schließung durch die napoleonischen Truppen in Halle gelehrt haben. Der Fokus liegt dabei auf den Karrierewegen, denn diese waren auch in der Frühen Neuzeit keinesfalls einheitlich: In der Karenzzeit zwischen Studienabschluss und der ersten Berufung konnten mehrere Jahre der Unsicherheit vergehen. Zudem war das Graduierungssystem in keiner Weise institutionalisiert, wie es heute der Fall ist, auch die Habilitation war beispielsweise noch nicht üblich. Das 18. Jahrhundert bildet hier allerdings eine Umbruchzeit im Hinblick auf das 19. Jahrhundert, in dem bestimmte Karrieremuster bereits deutlich hervortreten. Ziel der Arbeit ist es daher, aus prosopographischer Perspektive und anhand des halleschen Beispiels diese beginnende Tendenz auszumachen und herauszuarbeiten, ab welchem Zeitpunkt sich die Werdegänge annähernd vereinheitlichten. Die Herkunft der Professoren bildet den ersten Einflussfaktor auf die Karrierewege. Insbesondere die soziale Herkunft beeinflusste den Zugang zu höherer Bildung und den Verlauf des Studiums.

In einem zweiten Punkt wird für die Untersuchung der Werdegänge die mitteldeutsche Bildungslandschaft in den Blick genommen, die sich durch "ein einmalig dichtes Netz von Universitäten und, als deren solider Unterbau, ein noch viel dichteres von Gymnasien und Lateinschulen" auszeichnete und "in der Welt ihresgleichen [suchte]" (Günter Mühlpfordt). Halle selbst verfügte im 18. Jahrhundert über eine große Auswahl an Schulen. Die Bildungslandschaft war zudem geprägt durch die Franckeschen Stiftungen oder in der weiteren Umgebung durch das Dessauer Philanthropin sowie das Zerbster Gymnasium illustre. Sei es als Schüler oder als Lehrer – es finden sich zahlreiche Beispiele späterer hallescher Professoren, die diese Bildungseinrichtungen besuchten bzw. hier vor der ersten Universitätsprofessur eine Beschäftigung fanden. Dass die besondere Bildungslandschaft die Werdegänge der Universitätsprofessoren in einem starken Maß beeinflusst hat, ist die zentrale These der Arbeit.

Drittens ist es für die Analyse der Werdegänge notwendig, die Netzwerke herauszuarbeiten, in die die Hochschullehrer des 18. Jahrhunderts eingebunden sein konnten. Hierbei sind vor allem die verwandtschaftlichen Verbindungen zu untersuchen. Da bislang für die Universitäten des 18. Jahrhunderts nur die geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Inhalte, nicht aber Patronage-Kriterien erforscht wurden, ist die verbreitete Forschungsmeinung, in welcher nur die "verfilzten Erbprofessoren" an den protestantischen Landeshochschulen wahrgenommen werden, sehr verkürzt (Matthias Asche). Durch die Betrachtung dieses Aspekts kann bewertet werden, ob noch immer die familiären Verbindungen für die "Karriere" ausschlaggebend waren oder ob sich andere Faktoren im Laufe des Jahrhunderts als erfolgreicher herausstellten.
Neben den familiären Verknüpfungen bildet die Einbindung in die Stadtgesellschaft eine weitere Form der hier zu untersuchenden Netzwerke. Diese lassen sich unter anderem in den geselligen und außeruniversitären wissenschaftlichen Kreisen der Stadt finden, wie in den Salons, den gelehrten Gesellschaften und Akademien (z.B. der Akademie der Naturforscher Leopoldina) ebenso wie in den Freimaurerlogen und in der Pfännerschaft. Die dritte systematische Form von Netzwerken bilden exemplarisch die Freundeskreise verschiedener Professoren.
Der jeweilige Grad der Einbindung in die Institution Universität bzw. in die Stadt hatte, so die These, Auswirkungen auf die Mobilität der Hochschullehrer. In der Gesamtschau dieser Faktoren kann schließlich die soziale Stellung der Professoren innerhalb einer Stadtgesellschaft im Verlauf des 18. Jahrhunderts bewertet werden.

Auf deren Grundlage soll schließlich der Versuch einer synthetisierenden Aufarbeitung verschiedener Themenkomplexe unternommen werden: die auf breiter empirischer Basis beruhende Analyse der Beziehungsgefüge einer frühneuzeitlichen Stadt ebenso wie eine Lokalstudie zum Religionsdiskurs im Jahrhundert der Aufklärung.