Esoterik |
Prof. Dr. Monika Neugebauer-Wölk (Geschichte)
Prof. em. Dr. Manfred Beetz (Germanistik),
Prof. Dr. Michael Bergunder (Theologie),
Prof. Dr. Werner Nell (Vergleichende Literaturwissenschaft),
Prof. Dr. Jürgen Stolzenberg (Philosophie)
Das Rationale – also die Bereitschaft, über möglichst jede Meinung und jedes Tun und Lassen mit 'möglichst zureichenden' Gründen Rechenschaft abzulegen – tritt im 18. Jahrhundert vor allem in einer sich strukturell wandelnden Öffentlichkeit in Erscheinung. Ein wichtiges Thema in der Ausbildung der bürgerlichen Öffentlichkeit und einer Binnenrationalität ihrer Diskurse bilden im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert die Diffusionsprozesse, durch die immer mehr Inhalte aus der frühneuzeitlichen Esoterik von Gelehrtenmilieus und pansophischen oder masonischen Gesellschaftsformen breit diskutiert und historisch verfahrender Kritik unterworfen werden. Hierbei steht das Verständnis von Wissen und Rationalität im Streit und unterliegt diversen Transformationen, aber auch Konvergenzen wie etwa der Rationalisierung esoterischer Denkmodelle, heute häufig als 'aufgeklärte Esoterik' bezeichnet.
Ein Paradigma eines solchen Diffusionsprozesses und Spannungsverhältnisses geht aus den Bemühungen hervor, nicht nur christliche, sondern auch nicht-christliche Formen des Religiösen aus hermetischen, mystischen, kosmosophischen und theosophischen Gelehrtendiskursen des 16. und des 17. Jahrhunderts über die öffentliche Diskussion, aber auch neue Sozietätsformen des 18. Jahrhunderts tolerabel zu machen und gesellschaftlich breiter zu verankern. Esoterik ist mit religiöser Aufklärung untrennbar verbunden, christliche Glaubensinhalte dogmatisch-orthodoxer Formen werden mit religiösen Alternativen konfrontiert. Diese Alternativen erheben nicht nur ihrem Inhalt nach Anspruch darauf, durch Selbstdenken angeeignet zu werden. Sie erheben alleine schon als Alternativen Anspruch auf eine rationale Abwägung und appellieren überdies direkt an eine Rationalität des Diskurses der gebildeten Öffentlichkeit. Gleichzeitig machen es die politischen und die sozialen Bedingungen im Europa des 18. Jahrhunderts unumgänglich, solche religiösen Optionen und Alternativen mit großer rhetorischer, organisatorischer und inszenatorischer Kunst im nicht ungefährlichen Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Geheimhaltung zu kultivieren.
Diese thematische Orientierung der Forschergruppe des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung ('Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik') mobilisiert Geschichtswissenschaft, Germanistik, Philosophie und Religionswissenschaft. Sie verbindet sich thematisch mit den Projektfeldern Pietismus, Hermeneutik, Verhaltensdiskurse und trägt zur Entwicklung einer interreligiösen, nicht auf das Christentum fixierten Europäischen Religionsgeschichte bei.