Pietismus

Prof. Dr. Udo Sträter (Theologie)

Prof. Dr. Josef N. Neumann (Geschichte der Medizin),
Prof. em. Dr. Wolfgang Ruf (Musikwissenschaft),
Prof. em. Dr. Arno Sames (Kirchengeschichte),
PD Dr. Christian Soboth (Germanistik),
PD Dr. Ulrike Gleixner (Geschichte),
Prof. Dr. Pia Schmid (Pädagogik),
Prof. Dr. Hermann Goltz †,
Prof. Dr. Swetlana Mengel (Slavistik),
Dr. Thomas Müller-Bahlke (Direktor der Franckeschen Stiftungen)

Die Forschungen dieses in sich interdisziplinären Projektbereichs thematisieren das Spannungsfeld von Intention und Rezeption des Pietismus. Damit sind die Bezugsgrößen Aufklärung und Religion unmittelbar angesprochen. Der Pietismus war die wirkmächtigste innerprotestantische Erneuerungsbewegung seit der Reformation. Affektorientierung, Erfahrungsbezug und Wendung zur gesellschaftlichen Praxis sind seine Kennzeichen. Mit der beginnenden Aufklärung teilte er die Kritik an traditionellen Formen der Religiosität und des theologischen Lehrbetriebs. Die chiliastisch begründete 'Hoffnung besserer Zeiten' konvergiert mit aufklärerischen Vorstellungen von der Gestaltbarkeit der Zukunft. Es koexistieren Re-Christianisierung im Medium des Erbaulichen (Predigt, Lied, religiöse Literatur), Emotionalität und höchst rational geprägte Aktivitäten nach außen (pädagogisches, soziales, wirtschaftliches und politisches Handeln). Die Überschreitung des Modells der 'wahren Gottseligkeit und christlichen Klugheit' führt den hallischen Pietismus im Bereich der Gesellschaft zu Formen zweckrationalen Handelns. Im Bereich der Theologie überschreitet er die naive Auffassung von der Überlieferung als lebensweltliches Dokument und gelangt zu neuen Formen historisch-kritischer Analyse biblischer Texte sowie zur Entstehung des historisch fundierten und philosophisch formierten 'Neuprotestantismus'.

Innerhalb des Rahmenthemas der 'Transformationen des Religiösen und des Rationalen' umreißen die vorgesehenen Projekte drei thematische Felder: die Begegnung und Konfrontation der Religion mit der Aufklärungsphilosophie (Wolff vs. Lange) erzeugt eine aufklärungsgeprägte Form des Pietismus, die in der Neologie (Johann Salomo Semler) neue Gestalt findet. Im Kontakt mit der Aufklärung gewinnt die ureigentliche reformerische Stringenz des Pietismus zugleich Formen der Rationalisierung des Glaubens, wie er auch eine Transformation des Rationalen im Kontext der Religion zurückgewinnt. Die dem Pietismus eigenen musischen Formen und seine Rhetorik/Semantik der Herzensbildung erweitern im Verlauf der Aufklärung ihre engere Funktion im Kontext des Religiösen und rücken in eine Dimension des Kulturell-Literarischen (Kultur der Empfindsamkeit). Damit reicht der hallische Pietismus bis in die anthropologisch-ästhetische Dimension der Aufklärung.