"Übung wahrer Gottseligkeit". Das pietistische, weil korrespondierende Subjekt: Frauen im Umkreis der Quedlinburger pietistischen Bewegung (1692-1704).
[Arbeitstitel]

Katja Lißmann

Aus der Perspektive genderorientierter Pietismusforschung einerseits, der historischen Erziehungswissenschaft andererseits stellt das vorliegende Promotionsprojekt Briefpraktiken von Frauen im frühen Quedlinburger Pietismus (1692-1703) ins Zentrum. Die praxeologisch ausgerichtete Analyse der Korrespondenzen zweier in das Quedlinburger pietistische Netzwerk integrierter Frauen – Anna Magdalena von Wurm (1670-1734) und Sophia Maria von Stammer (1657-1705) – mit dem Theologen, Pädagogen und Stiftungsgründer August Hermann Francke (1663-1727) wird umfassend eingebettet in eine mikrohistorische Untersuchung der Quedlinburger frühpietistischen Bewegung.

Vermittelt und motiviert durch den pietistischen Anspruch der Ausbildung und Aufrechterhaltung einer individuellen Gottesbeziehung wurden Briefpraktiken zum Ort der performativen Konstruktion pietistischer Subjektivität. Das Anforderungsprofil des Pietismus verlangte ein gläubiges Ich, das sich zur Wahrheit der Offenbarung in Beziehung setzte, diese Beziehung permanent evaluierte und sich die Wahrheit durch "lebendige Erfahrung" (Vision, Meditation, Schreiben) aneignete. Mit der untersuchungsleitenden Frage, ob pietistische Briefe als subjektkonstituierende (Frömmigkeits-)Praktiken im Sinne Pierre Bourdieus, Theodore R. Schatzkis und Michel Foucaults verstanden und analysiert werden können, in deren Vollzug pietistische Subjektpositionen kommunikativ ausgehandelt und erschrieben wurden, soll ein Zugang zum pietistischen Brief als Frömmigkeitspraxis entwickelt werden, der über den gängigen Topos des 'Trost- und Bekenntnisbriefes' hinausgeht. Die Schreib- und Korrespondenzpraxis pietistischer Frauen kommt damit als religiöse Praxis zwischen Alltag, Frömmigkeit und pietistischer Reflexivität in den Blick, in deren Vollzug das Schreiben als konstitutives Element eines als Prozess verstandenen 'Wachstums im Glauben' gelten kann. Damit eröffneten sich in der Entstehungsphase des Pietismus zeitgenössisch untypische und von Kontrahenten vielfach kritisierte Handlungsräume für Frauen. Aus bildungshistorischer Perspektive ist das frühe pietistische Milieu mit seinen spezifischen, im Rahmen des Dissertationsprojektes zu rekonstruierenden Handlungsdynamiken als (Selbst-) Bildungsmilieu zu analysieren.